WORTWELTRAUM
KLEINE PROSA
Wanderung
Meine Heimatstadt hat sich zwischen Wald und Wiesen niedergelassen: Wälder, wo nur noch Wald rauscht. Wiesen, wo nur noch Wind huuuht. Wenn ich nachts neben dem Kreuzweg herumsteh, Gebüsch und Bäume wurzeln auf seinen einrahmenden, ihn festhaltenden Erdwällen, kann ich ein Flüstern hören. Hingleitet mit ihren beleuchteten Waggons, wie eine wohlwollende, gigantische Kreuzotter, die Regionalbahn nach Hamburg. Hingleitet die Kreuzotter in den Norden: Ihre Gleise führen zu den Fähren, welche nach Oslo weiterfahren. Hier habe ich mir einen Wagen zu mieten und in die Nordmarka hineinzukurven.
Mein Buch In den Wäldern des Nordens hatte auf dem Nachtschrank meiner Kindheit herumzuliegen. Waldgeschichten verbargen sich in ihm.
Was, wenn die Wege, die man als Kind geträumt hat, nun doch wieder offen stehen?
Wandere in den Wald hinein. Während Fichten und Kiefern meinen Körper beschatten, wühlt die Ewigkeit in meinen Haarlocken.
Wenn ich auf meinem Weg bin, kommen mir tausend Freunde entgegen.
Moor
Man versinkt, wenn man nicht hinauskommt. Man kommt niemals ganz hinaus. Man ist schon ganz versunken, wenn man nicht hinauskommen will.
Brevier eines Mannes
Er wurde in einem Bordell geboren. Dementsprechend freidenkend war er. Wenn er einen Wunsch gehabt hätte, hätte er sich ein Schiff gewünscht und hundert Kanonen. Er ging nach Kuba auf Kredit.
Er trank Alkohol wie Wasser. Rauchte Zigarren. Tröstete sich mit Leidenschaft. Half einem Bauern bei der Feldarbeit und wurde von der Revolution überrascht. Wurde Bauer unter Fidel Castro.
Er kehrte dem Kommunismus den Rücken. Putzte für Reiche in der alten Heimat. Kaufte sich eine Wohnung in der schlechtesten Ecke der Stadt. Er hatte das Geld beim Kartenspiel zusammengerafft.
Er trottete wie ein Hund durch den Park. Wurde verprügelt. Weil er das Geld nicht rausrücken wollte. Traf endlich seine Frau. Gründete eine Firma für Flaschenöffner. Weinregale. Wurde reich und fett.
Wie lange hatte er nicht geweint. Hatte es wohl das letzte Mal in der Kindheit getan. Gehänselt hatte man ihn, weil er keinen hatte. Er hockte auf der Hollywoodschaukel. Baumelte mit den Beinen. Hörte dem Wind zu. Weinte.
Für seinen Grabstein hatte seine Frau kein Geld. Er hatte zum Schluss doch wieder alles versoffen, verraucht, verschenkt. Er wurde unter einer Wiese bestattet. Es war Juni. In den Schwimmbädern war wieder Betrieb. Seine Frau hob seinen Tannenzapfen und sein kaputtes Vogelei auf.